Für faire Vergabe und Tagesreinigung

  • Interview

Das Projekt „Joboption Berlin“ macht sich stark für ein besseres Arbeitsumfeld in der Gebäudereinigungs-Branche!

11. Juni 2024

Die ArbeitGestalten GmbH ist eine Beratungsgesellschaft und befasst sich mit Strukturen, die gute Beschäftigungsbedingen verhindern oder befördern. Dazu bringt ArbeitGestalten Akteure von verschiedenen Branchen zusammen, um Arbeitsbedingungen gemeinsam zu gestalten und zu verbessern. „Joboption Berlin“ ist ein von der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung gefördertes Modellprojekt des Unternehmens. Es untersucht, unterstützt und begleitet die Verbesserung von Beschäftigungsbedingungen in den Branchen Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe, Zweirad-Lieferdienste sowie Gebäudereinigung. Am 5. Juli 2024 findet eine Tagung unter dem Motto „Wer hält Berlin am Laufen“ in der Hauptstadt statt. Ein wichtiger Punkt wird das Thema „Gute Arbeit durch faire Vergabe? Über Chancen der Tagesreinigung und ihre Hürden“ sein. Saubere Sache Heute hat im Vorfeld mit Rickmer Roscher von ArbeitGestalten über das Projekt und dessen Ziele gesprochen.

Im Rahmen des Projekts „Joboption Berlin“ wurde das Label „Tagesreinigung stärkt gute Arbeit" entwickelt. Wie kam es dazu?

Seit 2017 hat sich „Joboption“ dem Thema Gebäudereinigung gewidmet und die Branche unter die Lupe genommen. Wir trafen auf Lohndumping, Leistungsverdichtung und prekäre Beschäftigung, so wird in der Unterhaltsreinigung meist in kleinen Teilzeiten oder im Minijob gearbeitet. Gleichzeitig ist in Berliner Schulen und öffentlichen Gebäuden die Reinigungssituation schon lange ein Zankapfel und die Unzufriedenheit aller Beteiligten groß. Die ersten Erkenntnisse wurden in einem Branchenreport zusammengefasst und bereits hier wurde klar, dass die Einführung von Tagesreinigung ein vielversprechender Lösungsansatz ist: Sichtbarkeit, Wertschätzung und Abmilderung der Leistungsverdichtung könnte damit auf einen Schlag erreicht werden. Weil die öffentliche Hand als größter Auftraggeber der Branche einen großen Einfluss hat, ist der regelmäßige Austausch mit den Fachabteilungen der Bezirksverwaltungen ein festes Element der Projektarbeit.

Während der Coronapandemie rückte die Arbeit der Reinigungskräfte ins Bewusstsein, sie waren tagsüber in den Gebäuden unterwegs. Beispielsweise wurde in Schulen die zweite Toilettenreinigung eingeführt, andere hygienesensible Bereiche häufiger und vor allem tagsüber gesäubert und man merkte, dass das kein Problem war. Dies waren aber zusätzliche Tagesdienste im Umfang von zumeist nur wenigen Stunden. Die eigentliche Arbeitsorganisation der Unterhaltsreinigung änderte sich dadurch nicht, nur für wenige Reinigungskräfte verbesserten sich die Arbeitszeiten.

Was genau macht das Label „Tagesreinigung stärkt gute Arbeit" aus?

Das Label definiert, was Tagesreinigung bedeutet. In zwei Workshops mit den Akteuren der Branche aus Unternehmen, Betriebsräten, der IG BAU, der Handwerkskammer und der RAL Gütegemeinschaft Gebäudereinigung sowie der Verwaltung haben wir gemeinsam bestimmt: Ab wann kann man von Tagesreinigung sprechen und was genau braucht es zur Umsetzung?

Welche Ziele werden mit dem Label verfolgt?

Die Erkenntnis, dass die Verbesserung der Reinigungsqualität ganz klar mit den Beschäftigungsbedingungen korreliert, war maßgeblich für das Label. Die gemeinsam erarbeiteten Kriterien umfassen unter anderem festgelegte Zeitfenster, und zwar zwischen 07.30 Uhr und 16.00 Uhr. Es darf begründete Ausnahmen geben, aber mindestens 60 Prozent der Arbeitszeit der Beschäftigten sollen innerhalb dieser Zeit liegen. Damit werden die Reinigungskräfte zum einen wieder als „Teil des Betriebs“ wahrgenommen, zum anderen lässt sich für diese ein Privatleben mit den Arbeitszeiten vereinbaren. Kinderbetreuung, Zeit für Freunde und Partnerschaft. Darüber hinaus ist eine zusammenhängende Arbeitszeit von täglich mindestens sechs Arbeitsstunden verpflichtend. Erst mit diesem Arbeitsvolumen liegt das Einkommen der Reinigungskräfte oberhalb der Armutsrisikoschwelle.

Worin bestehen die Schwierigkeiten, die Kriterien umzusetzen?

Geschieht die Reinigung bei Tag, dann wird klar, dass Reinigung uns alle etwas angeht. Von Seiten der Auftraggeber beziehungsweise der Nutzer:innen der Gebäude werden oft Vorbehalte geäußert, dass es zu „Störungen“ des Betriebsablaufs kommt. Da braucht es natürlich gute Absprachen und Transparenz. Für Dienstleister bedeutet Tagesreinigung, dass die Reinigungskräfte einer gewissen Schulung bedürfen. Sie brauchen ausreichend Sprachkenntnisse, Interaktions- und Kommunikationsfähigkeiten, wenn sie bei Tag unterwegs sind, wenn auch die anderen Angestellten da sind. Außerdem müssen sie eigenständiger handeln und planen können. Das erweitert natürlich das Arbeitsspektrum und erhöht den Anspruch. Arbeit, die unsichtbar ist, weil sie nachts erfolgt, obliegt keiner natürlichen Kontrolle. Hier kann gehetzt und Zeiten können gekürzt werden und dann leidet natürlich die Qualität. Bisher haben sich Vergabestellen über diesen Zusammenhang eher wenig Gedanken gemacht, denn der Preis war entscheidend.

Sind Auftraggeber und Auftragnehmer schon so weit, sich dem zu stellen?

Ja, ich denke schon, wobei es natürlich ein Prozess ist und ein Umdenken braucht. Die IG BAU, die Gebäudereiniger-Innung und ihre Mitgliedsunternehmen unterstützen die Tagesreinigung, ebenso auf europäischer Ebene die Gewerkschaft UNI Global Union und der Arbeitgeberverband EFCI, in dem auch der Bundesinnungsverband seit langem Mitglied ist. Tagesreinigung bremst die Abwärtsspirale des Lohndumpings und hilft bei der Personalgewinnung, denn sie steigert die Attraktivität des Berufes auf mehreren Ebenen. Ganz offensichtlich zählen die besseren Arbeitszeiten dazu, aber auch die Aufwertung ganz allgemein.

Tagesreinigung geht aber nur als Kooperation von allen Beteiligten und auch die Nutzer:innen des Gebäudes müssen mit einbezogen werden. Im Vorfeld muss also kommuniziert werden, dass tagsüber gesäubert werden soll und welche Änderungen das mit sich bringt. Die Reinigungspläne sind dann zugänglich und jeder kann sehen, wann wird bei mir gereinigt. So können die Raumnutzenden auch mit einbezogen werden, sie stellen schon den Mülleimer raus oder ähnliches. Dazu kommt eine pädagogische Dimension: Wenn ich sehe, wie verantwortungsvoll der Beruf einer Reinigungskraft ist, fühlt man sich auch mitverantwortlich für ein sauberes Umfeld.

Können sich Gebäudereinigungsunternehmen und Kunden dem Label schon anschließen?

Unser Ziel war es, das Label Tagesreinigung stärkt gute Arbeit als Hilfestellung und Referenz für Vergabestellen zu etablieren, damit sie direkt sehen können, welcher Dienstleister den Kriterien dafür gerecht wird. Auch Dienstgebäude und Schulen sollen das Label verwenden können, um nach außen zu zeigen, dass sie sich für gute Arbeitsbedingungen einsetzen. Damit das Label in diesem Sinne wirksam werden kann, braucht es aber politische Unterstützung, vor allem aus dem für Vergaben zuständigen Wirtschaftsressort. Als Ergebnis unserer Bemühungen wurde angeregt, eine Musterausschreibung für die Tagesreinigung zu entwickeln.

Diese Musterausschreibung hat „Joboption“ gemeinsam mit der Gebäudereiniger-Innung Berlin und dem Berliner Immobilien Management ausgearbeitet. Warum ist sie so wichtig für die Umsetzung der Tagesreinigung?

Die Vergabestellen und Fachabteilungen brauchen Rechtssicherheit. Die gängige Praxis, Aufträge 100 Prozent nach Preis zu vergeben, ist rechtssicher, führt aber in der Regel bei der Unterhaltsreinigung nicht zum gewünschten Ergebnis. In der Musterausschreibung als ein Baustein für die Ausschreibung werden explizit Dinge geregelt, damit Tagesreinigung gelingt. So sind beispielsweise die Ideen des Labels darin eingegangen und wurden in Anforderungen an die Bieterkonzepte übersetzt.

Welche Vorteile hätte diese Art der Ausschreibungen für Gebäudereinigungsunternehmen und Vergabestelle?

Den Vergabestellen und Fachabteilungen fehlen häufig Zeit und Branchenwissen, um neue Wege zu beschreiten. Das ist jetzt vorbereitet. In der Musterausschreibung wird vor allem auf die Arbeitsorganisation für Tagesreinigung abgehoben. Es gibt beispielsweise konkrete Vorschläge für die Weiterbildung von Reinigungskräften, damit sie den neuen Anforderungen gewachsen sind. Auch für die Qualitätssicherung werden Vorschläge gemacht, die auf klare Zuständigkeiten und regelmäßigen Austausch setzen. Darüber hinaus stellen Bieter ihre Ansätze zur Umsetzung von Anforderungen in Konzepten dar. Auch das trennt die Spreu vom Weizen und Gebäudereinigungsunternehmen, die ihren Job gut machen wollen, werden hier herausstechen. Für die Vergabestellen ist die Konzeptbewertung zunächst ungewohnt, aber mit etwas Übung machbar. Und vor allem zielführend.

Steigen die Preise durch Tagesreinigung, sprich wird es deutlich teurer für Auftraggeber und Auftragnehmer?

Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Einschätzungen. Womöglich höhere Kosten sind in der Tat die größten Vorbehalte der Vergabestellen. Die Stadt Hamburg zum Beispiel, die vor Jahren Tagesreinigung in Schulen eingeführt hat, zahlt nun pro Quadratmeter weniger als vor der Einführung. Hier geht es aber um Wirtschaftlichkeit, nicht um den billigsten Preis. Wir müssen uns die Frage stellen, was verglichen wird. Auf der einen Seite hat das Angebot den Zuschlag erhalten, das einen sehr knapp kalkulierten Stundenverrechnungssatz, der nicht auskömmlich ist, zugrunde legt. Statt beispielsweise acht angebotenen Reinigungsstunden im Objekt werden dann nur sechs tatsächlich geleistet und das Ergebnis wird dementsprechend schlechter sein. Auf der anderen Seite habe ich einen Vertrag mit Tagesreinigung, der von einem realistischen Stundenverrechnungssatz ausgeht. Der ist zunächst vielleicht teurer. Führt man beispielsweise Kosten für das Reklamationsmanagement oder Energiekosten für die Beleuchtung früh oder abends mit auf, sieht die Sache wieder anders aus und der Unterschied ist nicht mehr so groß. Wir von „Joboption Berlin“ werben daher für Business Cases, die ganz konkrete Zahlen liefern und zusätzlich eine Aussage über die Kundenzufriedenheit treffen können.  

Wo können sich Gebäudereinigungsunternehmen zum Thema Tagesreinigung beraten lassen?

Interessierte Gebäudedienstleister können sich am besten an ihre Innung wenden. Wir hier bei „Joboption Berlin“ sind keine Reinigungsfachleute und moderieren vor allem den Austausch zu besseren Arbeitsbedingungen. Nichts desto trotz freuen wir uns immer über Anregungen und den Austausch mit allen Interessierten.

Wie soll es in Zukunft weitergehen?

Wir möchten den Austausch der Vergabestellen, der Fachabteilungen und der Unternehmen für die Verwendung der Musterausschreibung voranbringen. Außerdem treibt uns das Thema der Weiterbildung für die Reinigungskräfte um, damit diese die nötigen Kompetenzen für die Tagesreinigung erwerben können. Und das Label Tagesreinigung stärkt gute Arbeit hängt noch an keinem öffentlichen Gebäude. Es gibt also noch viel zu tun.